Rohmessdaten im Bußgeldverfahren von Anwalt, Rechtsanwalt, Fachanwalt Verkehrsrecht Stuttgart - Tilo Neuner-Jehle
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Rohmessdaten im Bußgeldverfahren
Verletzung des Rechts auf "faires Verfahren" bei Weigerung der Herausgabe von Rohmessdaten durch Behörde
Beim standardisierten Messverfahren wie bei einer Geschwindigkeitsmessung muss nicht jedes Mal die Richtigkeit der Messung überprüft werden. Nach der neuen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann der Betroffene jedoch Zugang zu nicht in den Akten (Ermittlungsakte) befindlichen Informationen fordern und diese beanspruchen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.11.2020,AZ: -2 BvR 1616/18-.
Das Gericht führte hierzu aus, dass der Betroffene eines Bußgeldverfahrens, um bei einer Geschwindigkeitskontrolle mögliche Fehler zu finden auch die Rohdaten der Messgeräte einsehen darf. Ansonsten sei das Recht auf faires Verfahren verletzt. Das Gericht gab damit einer Verfassungsbeschwerde statt, die den Zugang zu Informationen im Bußgeldverfahren betraf, die nicht Teil der Bußgeldakte waren.
Im vorliegenden Falle hatte die Behörde, wie auch das Amtsgericht, wie auch das später mit der Entscheidung befasste Oberlandesgericht Bamberg den Zugang zu den Rohmessdaten verwehrt. Diese Entscheidung wurde nunmehr vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben.
Das Gericht führt zwar aus, dass bei einem standardisierten Messverfahren die Feststellungs- und Darlegungspflichten des Tatgerichts im Regelfall reduziert seien. Es müsse nicht jedes Mal Anlass los die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüfen. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergebe sich jedoch, dass ein Betroffener Informationen der Bußgeldbehörde, die nicht Teil der Akte sind, überprüfen darf. Wird ihm der Zugang zu diesen Daten verwehrt, so stellt dies ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren dar.
Bedeutung dieser Entscheidung für die Parxis und die Verteidigung in Bußgeldsachen:
Nach wie vor müssen die Gerichte im standardisierten Messverfahren keine weiteren Ermittlungen zur Richtigkeit der Messung anstellen, soweit keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorliegen.
Der Verteidiger hat nunmehr jedoch die Möglichkeit bei Vorliegen der entsprechenden Messunterlagen diese zu prüfen, um gegebenenfalls Einwendungen gegen die Messung vorzutragen. Allerdings geht das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung nicht davon aus, dass eine Messung unverwertbar sei, nur weil die Rohmessdaten nicht vorhanden sind.
Fraglich ist, welche Unterlagen von der Behörde, bzw. vom Gericht an den Verteidiger herausgegeben werden müssen. Festgehalten werden muss allerdings, dass keine Unterlagen herausgegeben werden müssen, welche tatsächlich nicht existieren.
Anerkannt in der Rechtsprechung ist, dass
- Meßprotokolle
- Meßbilder
- Eichscheine
- etwaige Schulungsnachweise
herausgegeben werden müssen.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen nunmehr noch Unterlagen wie:
- Bedienungsanleitung des Meßgeräts
- Wartung- und Reparaturnachweise
- sowie alle erhobenen Rohmessdaten
herausgegeben werden. Diese Unterlagen können in jeder geeigneten Form zur Verfügung gestellt werden, so zum Beispiel auch online oder mittels CD.
Ob die gesamte Messreihe samt zugehöriger Messdaten herausgegeben werden muss ist allerdings fraglich. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müssen nur solche Unterlagen herausgegeben werden, welche in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der konkreten Messung stehen und die für den Tatvorwurf von Relevanz sein können. In keinem Fall kann jedoch verlangt werden, dass die Daten aller Messungen, die das Gerät jemals durchgeführt hat, herausgegeben werden müssen.
Derzeit sind somit Bußgeldverfahren wie folgt zu bearbeiten:
Zunächst muss bereits gegenüber der Bußgeldbehörde darauf hingewiesen werden, dass diese sämtliche relevanten Unterlagen an den Verteidiger oder einen von ihr beauftragten Sachverständigen herausgeben muss.
Bei Angelegenheit, welche sich bereits vor dem Gericht befinden, stellt sich die Frage, ob die Herausgabe dieser Unterlagen vom Gericht veranlasst werden muss. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach darauf hingewiesen hat, dass eine Herausgabe dieser Unterlagen nur erfolgreich verlangt werden kann, wenn dieses Verlangen bereits frühzeitig bei der Bußgeldbehörde vorgetragen wurde. Dies entspricht letztlich bereits der Entscheidung des OLG Karlsruhe(NZV 2020, 368), welches einen solchen Anspruch nur dann zubilligt, wenn die erweiterte Akteneinsicht bereits
- bei der Bußgeldbehörde beantragt wurde,
- anschließend gegen die Ablehnung eine gerichtliche Entscheidung
beantragt wird und
- dieser Antrag im gerichtlichen Verfahren erneut gestellt wird.
In allen anderen Fällen wird das Gericht dem Antrag auf Aktenergänzung wohl nicht nachkommen müssen.